Interview mit unserem Kung Fu Lehrer Timo Stolley über Taiwan und das Kung Fu

Timo in Taiwan – Kung Fu und die taiwanische Genauigkeit

Timo Stolley, Kung Fu Trainer im Zentral Dojo, erzählte mir bei einer Tasse Tee von seiner Reise nach Taiwan. 2 Wochen intensives Training, taiwanische Kultur und tropische Landschaften. 

Ursprünglich hat Timo einen Kung Fu Stil in Berlin gelernt. Viele Jahre trainierte er dort und auch heute fährt er regelmäßig zu seiner Trainingsgruppe und seinem Lehrer, um dort weiter zu trainieren. Durch seinen Lehrer hat er von Adam Hsu gehört. Ein hochangesehener Kung Fu Lehrer in Taiwan. Nachdem Timos Lehrer bereits regelmäßig nach Taiwan reiste und bei Adam Hsu lernte, machte auch Timo sich eines Tages das erste Mal auf den Weg Richtung fernen Osten. Seit drei Jahren nun fährt auch er selbst regelmäßig dorthin, um sein Kung Fu zu verbessern.

Das Training fand bei Adam Hsu in Taipeh, der Hauptstadt Taiwans statt. Kung Fu ist in Taiwan sehr bekannt und hat einen hohen kulturellen Stellenwert. Adam Hsu gilt dort als „National Treasure“ (lebender Nationalschatz). Das Training fand immer dienstags, donnerstags und samstags gegen Abend statt. An den anderen Tagen übte Timo im Einzeltraining mit Hsu und einigen seiner Schüler.

Ich habe Timo in einem Interview ein paar Fragen gestellt.

Das Training bei Adam Hsu in Taipeh

Wie sieht so ein Training in Taiwan bei Adam Hsu aus?

Gegen 19 Uhr sind die meisten Schüler schon da. Meistens leitet einer der höheren Schüler das gemeinsame Aufwärmen und Dehnen. Sobald Adam Hsu da ist, wird sich gemeinsam, in der Gruppe, begrüßt. Das ist Tradition. Was danach passiert weiß man nie. Manchmal beginnt gleich das Üben oder es gibt etwas Aktuelles mitzuteilen. Organisatorisches oder aktuelle Veranstaltungen, auf die er hinweist. Manchmal hat er Bücher, Zeitschriften oder Artikel dabei oder er erzählt einfach. Da kam es schon mal vor, dass alle ein bis zwei Stunden in Reih und Glied dastanden und nur zugehört haben. Ich habe natürlich kein Wort verstanden, weil er chinesisch gesprochen hat. Aber größtenteils nimmt er uns Besucher davon aus. Er gibt uns vorher eine Aufgabe, mit der wir uns beschäftigen und auseinander setzen sollen – natürlich in englischer Sprache. Wir konnten dann für uns üben, während er den anderen etwas erzählte. Wenn er es für alle als wichtig erachtete, dann holte er uns dazu und stellte uns einen Übersetzer an die Seite, der vom Chinesischen ins Englische dolmetschte. Aber die Erzählstunden sind natürlich recht selten. Training ist Training.

Es werden sehr viele Grundlagen trainiert. Und wer glaubt, dass er beschäftigt wird, der ist fehl am Platz. Man braucht Geduld. Adam Hsu steht freundlich lächelnd da und lässt erstmal nichts durchblicken. Wer neu da ist, muss erstmal etwas zeigen/ vormachen, damit er den Kenntnisstand grob einordnen kann. So ging es mir auch. Dann kann er die „Baustellen“ einschätzen, die er für die Entwicklung des Besuchers als wichtig erachtet. Dies kann sich schon mal stark von der Selbsteinschätzung des Besuchers unterscheiden, was dann zu Missverständnissen führen kann. Das heißt aber nicht, dass er nicht auf andere eingeht. Wenn er es beispielsweise die Beine als zu schwach und wackelig empfindet, dann lässt er einen an den Stellungen arbeiten. Dazu muss man dann aber nicht zwei Stunden lang in einer Stellung herumstehen. Man kann diese auch an Einzelbewegungen üben oder an Formen. Das überlässt er dem Übenden. Wichtig ist ihm dabei nur, dass der Fokus dann auf den Stellungen liegt. Bei meinem ersten Besuch habe ich einen seiner Schüler, als „Guide“ an die Hand bekommen, der mir die Grundbewegungen zeigen sollte. Immer und immer wieder, bis ich nach zwei Wochen dann beim offiziellem Gruppentraining ganz normal mitmachen konnte. Dabei wurde ich zwischendurch immer wieder von Adam Hsu unauffällig beobachtet. Erst als ich zum zweiten Mal wiederkam, durfte ich neben dem gemeinsamen Gruppentraining dann ganz andere Sachen lernen. Dadurch sollen seine Schüler natürlich auch lernen, das Wissen weiter zu geben. Dann „menschelt“ es dabei schon mal, wenn der „Guide“ an seine eigenen körperlichen oder interpretatorischen Grenzen stößt. Auch wenn seine Schüler mal daneben liegen, greift er nicht ein. Man stiehlt in Taiwan niemanden das Gesicht oder stellt ihn bloss. Adam Hsu bekommt das schon mit und entscheidet am Ende für sich, ob er seinen Schüler später nochmal unter vier Augen zur Seite nimmt oder ob er vielleicht die Bewegung vor dem nächsten Training nochmal allgemein kurz erklärt und üben lässt. Grundlagen sind aber immer im Vordergrund. Einige Gäste, die zu ihm zum Training kommen, sind dann schnell gefrustet, weil sie der Meinung sind, dass es langweilig ist. Meiner Meinung nach haben sie den Begriff Kung Fu dann aber nicht richtig verstanden. Denn allein die Übersetzung bedeutet schon „Harte Arbeit“. Und die Grundlagen sind das, worauf alles andere aufbaut. Man braucht nur etwas Geduld und muss dran bleiben. Dann ist der Rest auch nicht mehr so schwierig und sogar spannender als man vorher dachte.“

 

Kung Fu

Woran kann ich denn als Laie erkennen, was Kung Fu ist und was es nicht ist? Woran kann ich entscheiden, welche Kunst zu mir passt? Was unterscheidet deiner Meinung nach zum Beispiel Karate und Kung Fu?

„Einem Laien, also „blutigen“ Anfänger, kann man alles als Kung Fu verkaufen. Hier ist das Vertrauen in den Trainer das Wichtige. Wenn man schon etwas gemacht hat, kann man abhängig von dem eigenen Stadium beurteilen, ob das Neue etwas mit Kampf zu tun hat… aber Vorsicht, es kommt immer auf die Art des Kung Fu an, das einem begegnet. Der Name der Stile sagt einem in erster Linie, wo dieser herkommt bzw. aus welcher Schule diese Art und Weise des Umgangs mit Gewalt stammt und vielleicht, womit man sich in diesem Stil schwerpunktmäßig beschäftigt. Manche Stile „arbeiten“ dicht zum Partner, andere eher auf Distanz, vielleicht gehen einige gradlinig aktiv auf den Partner zu, während andere Stile eher mit ausweichenden Bewegungen arbeiten. Nur weil vielleicht ein anderes Prinzip oder eine andere Auffassung von Kämpfen praktiziert wird, als man vorher kannte, ist das noch kein Maßstab ob das Gut, Schlecht, „richtiges Kung Fu“ oder „Falsches“ ist. Man sollte als Anfänger mehrere Stile ausprobieren. Bei irgendwas muss man ja anfangen. Dann merkt man, was zu einem passen könnte, welche Bewegungen einem liegen. Mit der Zeit können sich die Bedürfnisse verändern. Einige suchen dann neue Herausforderungen, andere bleiben lieber bei dem Gewohnten. Meiner Erfahrung nach kommt es auf Kleinigkeiten an. Oftmals spielt bei der Entscheidung für oder gegen einen Stil auch eher die eigene Vorstellung / die eigene Illusion eine große Rolle. Dann suchen die Schüler, was magisch-esoterisches und verleihen dem eher einen Klang durch Begriffe wie „authentisch“, „traditionell“, „original“, „echt“ usw. Früher oder später setzt bei dem meisten eine geistige Entwicklung ein. Dass ist dann der Punkt an dem sich die Spreu vom Weizen trennt. Der Schüler reflektiert, was er eigentlich mit Kampfkunst machen möchte und misst das getan, gesehen und erlebte daran. Einige wollen sich wohlfühlen. Super, wenn sie ihr Ziel erreichen, dann gibt es einen glücklichen Menschen mehr. Einige möchten das aus Gesundheitsgünden machen. Auch gut. Wieder andere nennen Selbstverteidigung als Grund, während andere gleich sagen dass sie Kampfkunst machen möchten – alles fein! Solange man nach einer gewissen Zeit reflektiert und für sich weiß, was man machen möchte. Jeder steckt sein Bereich ab. Es nervt nichts mehr als Menschen, die sagen, dass sie Kampfkunst machen und sich eigentlich nur aus Wohlfühl-Gründen bewegen und jegliche körperliche Konfrontation ablehnen. Nein, wenn jemand den Anspruch hat, Kampfkunst zu machen, muss er sich auch den Kampf praktizieren. Ob erfolgreich oder nicht, sei jetzt mal dahingestellt. Ob Karate oder Kung Fu? Auch das muss jeder für sich ausprobieren. Auch Karateschulen/-stile sind nicht alle gleich. Grundsätzlich hat der Mensch nur zwei Arme und zwei Beine, die er einsetzen kann. Insofern ist Karate, Kung Fu, Taekwondo oder was es sonst noch gibt, alles das Gleiche. Es geht darum, sich in einer körperlichen Konfrontation zu behaupten. Wie man das macht, auf welche Art und Weise, da unterscheiden sich die Stile und dann gibt’s in den einzelnen Stilen zusätzlich noch Unterschiede in den Lehransätzen oder der Lehrmethode. Ich habe zum Beispiel damals mit dem Stil der südlichen Gottesanbeterin angefangen. Und wenn man im Internet guckt, findet man auf jeden Fall ein paar große, weit verbreitete Schulen, die den Stil unterrichten. Die haben aber nicht unbedingt etwas miteinander zu tun. Die Techniken sind in den Schulen oftmals die gleichen, aber die Ausführung der Technik und die Intention, wie diese genutzt wird, die kann sich stark unterscheiden.“

Warum hast du dich für Kung Fu bzw. damals den Stil der südlichen Gottesanbeterin entschieden?

„Da müssen wir zu meinem Ursprung zurück. Ich hatte einfach Interesse am Kampfsport und habe geguckt, was bei mir in der Region so angeboten wird. Ich habe vorher Handball gespielt, so ca. 10 Jahre lang. Aber es hat mir irgendwann keinen Spaß mehr gemacht, weil man fast jedes Wochenende zu Spielen musste und der Trainer einen angeschnauzt hat, wenn man nicht gespielt hat, wie man sollte…. Und immer diese „Muss“. Es ging nicht um den Spaß. Man musste Leistung für die Mannschaft und den Verein erbringen. Da musste man immer Höchstleistung bringen und wurde tierisch unter Druck gesetzt. Da hatte ich irgendwann die Schnauze voll und habe dann nach einem Kampfsport gesucht. Damals habe ich die einschlägigen Magazine durchgeblättert und mich informiert. In den meisten waren Wettkämpfe groß geschrieben und das wollte ich gar nicht. Ich wollte etwas für mich haben. Weg von diesem Leistungsdruck und diesem Gewinn-Gedanken. Und da war Kung Fu das einzige, was ich gefunden habe. Und ehrlich gesagt, war ich auch nicht für Kampfsport geeignet. Ich bin ein ziemlich friedlicher Typ. Und als ich mit Kung Fu angefangen habe, kam ich natürlich nicht drum rum, mit Angriffen konfrontiert zu werden und vielleicht auch hier und da ein bisschen einzustecken. Teilweise ging es ganz schön ruppig zu. Natürlich ist nie etwas Schlimmes passiert, aber blaue Flecken, Prellungen, leicht Verstauchungen oder Zerrungen gehörten einfach dazu. Das fand ich am Anfang doof, bis ich irgendwann verstanden habe, dass es eigentlich für meine Entwicklung gut war. Wie sollte ich sonst lernen mich im Notfall tatsächlich zu verteidigen zu können? Im Ernstfall wirst du nicht erst vorher gefragt, ob du geschlagen werden darfst und verrät dir wo und mit welcher Technik er dich angreift. Es geht ohne Ansage direkt los… und das mit voller Kraft. Dann ist es gut wenn man aus dem Training schon Nehmerqualitäten mitbringt und mental und technisch darauf vorbereitet ist. Denn dann geht es einfach nur um´s reagieren. Diese Erkenntnis, war ein enormer Entwicklungsschritt für mich, weil ich immer der Sanftmütige war.“

Wie würdest du deinen Kung Fu Stil für Laien beschreiben? Ist es eher explosiv oder eher fließend? Weich? Oder Fest? Schnell oder langsam?

„Sowohl als auch. Es kommt auf die Übung und den Entwicklungsstand an. Bei der südlichen Gottesanbeterin habe ich gelernt, mich vor allem auf die Arme zu konzentrieren. Es war Nahkampf-orientiert. Man hat sich Stück für Stück vom angreifenden Körperteil zum Kopf des Gegners vorgearbeitet, um ihn dort auszuschalten. Im Baji Quan (einem anderen Kung-Fu Stil) habe ich dann gelernt, am angreifenden Körperteil vorbei, ohne Umwege an den Körper zu gehen und den Gegner aus seiner sicheren und stabilen Situation zu bringen, um dann die finale Technik zu setzen. Beim ersten Stil ging es also darum jedes Körperglied, Stück für Stück zu zerstören/ außer Gefecht zu setzen und sich dabei in den Gegner reinarbeitet und beim zweiten dass man gleich, so schnell wie möglich reingeht. Den Körpergliedern wird nur wenig Beachtung geschenkt, weil man sich daran vorbei, direkt zum Rumpf bewegt, um den Gegner zu erschüttern und außer Gefecht zu setzen. Ja, es bestehen Ähnlichkeiten zum Jeet Kune Do von Bruce Lee oder was man aus dem Wing Chun kennt. Jedenfalls was die schnelle direkte Reaktion betrifft und den Weg nach vorne. Aber wie man in Asien immer hört: „ Same, same but different…“. Wie gesagt, der Mensch hat nun mal nur durch seine zwei Arme und Beine begrenzte Bewegungsmöglichkeiten, so dass alle Techniken auch woanders vorkommen. Die Schwerpunkte, die Ausführungs- und Einsatzprinzipien, die Auffassung und das Ziel von Kampf unterscheiden sich und bringen dann Variabilität rein. Die „freie“ oder „reine“ Kampfkunst, dass sind nur Schlagwörter – die gibt es nicht. Wenn jemand keine Ahnung vom Kämpfen hat, wird er in jedem Stil herangeführt. Er lernt eine Struktur, ein „Skelett“, damit umzugehen. Meistens sitzen wir heutzutage im Alltag. In der Schule, auf der Arbeit usw. unsere Muskulatur hat sich den täglichen Anforderungen angepasst. Wenn ich mich dann anfange zu bewegen, dann ist das ungewohnt für den Körper. Er gibt es aber ursprünglich von seiner evolutionsgeschichtlichen Konstruktion her.  Das heißt alle Bewegungen, sind auch für alle geeignet – und mit mehr oder weniger Aufwand erlernbar. Im Laufe der Zeit erfolgt eine stilspezifische Sozialisation. Am Ende geht es darum, diese Sozialisation wieder aufzubrechen und dem Gegner, Partner und der Situation entsprechend angemessen einzusetzen. Also „frei“ und „natürlich“ wird alles, wenn wir es beherrschen und kontrolliert einsetzen können. Das gleiche gilt auch für den Geist. Emotionen können als Antrieb nützlich sein. Aber eine blindes, kopfloses wild-unkontrolliertes herausstoßen dieser Energie kann uns eher in eine prekäre Situation bringen. Wir müssen immer daran denken, dass wir uns nicht gegen kleine Kinder zur Wehr setzen, sondern ein größerer und schwerer Gegner das ist, was wir managen wollen. Deswegen wir man im Training unweigerlich auch auf sich selbst zurück geworfen und mit seinen inneren Reaktionen, Widerständen usw. konfrontiert."